Paul Schwer
Die Rufe des Muezzin
Seit Jahren erfreut uns der studierte Arzt und Künstler Paul
Schwer mit Werken, die gleichermaßen sinnlich und klug, analytisch
und improvisiert, abstrakt und erzählerisch sind. So komplex
und ausgreifend wie seine Kunst ist auch sein Werdegang als
Künstler, der ihn dazu prädestiniert, wieder einmal in Lenthe als
Teilnehmer dabei zu sein. Vor allem bei dieser Ausstellung:
Schwer versteht sich als Maler, hat aber sein Kunststudium bei
einem Bildhauer, bei Erwin Heerich, absolviert.
Zwar setzt der Künstler in seinen Werken nach wie vor wie ein
Maler auf die Trumpfkarte der Farbe. Aber wahrscheinlich ist es
Heerichs Einfluss zu verdanken, dass er relativ bald damit
begonnen hat, bei seinen „Bildern“ vom Gebrauch von Pinsel und
Pigment, Leinwand und Wand abzusehen. Um stattdessen mit
Hilfe von Holz, Kunststoff und Stahl, Neonröhren, Plexiglas und
Baugerüsten zu „malen“. Und dabei, in die dritte Dimension vorstoßend,
Licht, Raum und Bewegung zu stimmigen ästhetischen
Konstellationen zu verknüpfen. Sie zeichnen sich durch den
Eindruck prononcierter Labilität, akuter Einsturzgefahr und provisorischer
Vorläufigkeit aus, als wollten sie im Aufbau den Abbau
feiern, womit sie ihrem Zeitalter in vielerlei Hinsicht die ihm
gemäßen Embleme liefern.
Der destabilisierende Gestus charakterisiert auch seine mit farbigem
Plexiglas bewehrte Installation am Burggraben des
Obergutes. Zugrunde liegt ihr ein Ornament aus der großen
Moschee von Herat, das Paul Schwer präzise dekonstruiert und
verräumlicht hat. Nun greifen die weißen Stahlstangen des Werks
wie orientierungslose und haltsuchende Tentakeln in den Raum.
Vielleicht auch wie weit geöffnete Münder, deren Hilfeschreie
fünfmal täglich die Rufe des Muezzins im Inneren der Installation
übertönen.
(Michael Stoeber)
Red Bao
2012, 2013
Vita
Paul Schwer
www.paulschwer.de
1951 * in Hornberg
Lebt und arbeitet in Ratingen und Düsseldorf
Medizinstudium, Arbeit als Arzt für Kinder- und
Jugendpsychiatrie bis 1993
1981–1988 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf,
Meisterschüler Prof. Erwin Heerich
2007–2011 Gastdozent an der Kunstakademie Münster,
Orientierungsbereich
2011 " open academy - Licht und Kunst", Kunstakademie
Hue und Ho Chi Minh -City, Vietnam, in Zusammenarbeit
mit dem Goetheinstitut
2011/2012 Vertretungsprofessur einer Klasse für
Malerei an der Kunstakademie Münster
2016 Gastprofessur an der Kunstakademie Münster
Auszeichnungen
1995 Cité des Arts, Paris
2004 Bremerhaven Stipendium
2005 / 2006 Artist in Residence, Degussa-China,
Shanghai / China
2009 Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds, Bonn
2015 Projektstipendium der Kunststiftung NRW für
Istanbul
